25.06.2011

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CoverEine Gruppe von acht Raumfahrern unternimmt mit dem neuen Pulsationsraumschiff »Tellur« einen Flug zu einem rund 350 Lichtjahre von der Erde entfernten Kohlenstoffstern. Die Forscher wollen Sternentwicklungsprozesse studieren und neue Methoden zur Energiegewinnung erforschen. Der Flug wird für die Raumfahrer selbst nur wenige Jahre dauern, auf der Erde dagegen vergehen inzwischen rund 700 Jahre. Über diesen Umstand sind einige Besatzungsmitglieder sehr besorgt. Sie fragen sich nicht ohne Grund: Wie wird das Leben auf der Erde in 700 Jahren aussehen? Wie wird man sie bei ihrer Rückkehr empfangen? Sind ihre Forschungsergebnisse dann vielleicht schon längst überholt? Der Fortschritt in Wissenschaft und Technik wird im Laufe der Jahrhunderte sicherlich immens sein.

Der neue Antrieb der »Tellur« beruht auf dem Prinzip der Zeitkompression. Mit ihm können Geschwindigkeiten erzielt werden, die um ein Vielhundertfaches höher sind als bei herkömmlichen Raumschiffen. Leider kann der Flug während einer Pulsation (einer Art »Sprung« durch das All) nicht durch die Besatzung gesteuert und kontrolliert werden. Der menschliche Körper kann eine Pulsation nur im Zustand der Bewusstlosigkeit aushalten. Vor jedem neuen Raumsprung muss deshalb genauestens geprüft werden, ob der zurückzulegende Weg frei von allen Hindernissen ist.

 Cor Serpentis

Die »Tellur« ist zwar kleiner als frühere Sternenschiffe, bietet jedoch für die Besatzung ausreichend Platz. So steht bspw. für sportliche Betätigung und Erholung ein Schwimmbecken zur Verfügung.

Die Forscher erreichen den Kohlenstoffstern und gewinnen viele neue Erkenntnisse. Sie bereiten sich anschließend auf den Rückflug zur Erde vor. Während dessen empfangen sie den Suchstrahl eines fremden Raumschiffs. Noch nie zuvor kam es in der Geschichte der irdischen Raumfahrt zu einer Begegnung mit Abgesandten einer fremden Zivilisation.

 Begegnung beim Herz der Schlange

Beide Raumschiffe bremsen ab und bewegen sich aufeinander zu. Während dieser einige Stunden dauernden Flugphase trifft sich die Mannschaft der »Tellur« im Bibliotheksraum. Die Raumfahrer tauschen ihre Gedanken und Gefühle im Hinblick auf die Begegnung mit den Fremden aus. Eine angeregte Diskussion dreht sich um diese Fragen: Wie werden jene Unbekannten aussehen? Wird es zu einer Verständigung kommen oder unterscheidet sich die Denkstruktur der Außerirdischen sehr von der der Menschen? Wie werden die Anderen den Forschern begegnen, aggressiv oder freundlich?

Der Expeditionsleiter Mut Ang stellt seinen Kameraden die Kurzgeschichte »First Contact« des amerikanischen Autors Murray Leinster vor. In ihr begegnet ein terrestrisches Raumschiff einem Alien-Raumschiff. Die Außerirdischen befinden sich wie die irdischen Raumfahrer auf einer Forschungsmission im Krebsnebel. Die technische Ausstattung der beiden Raumschiffe befindet sich auf ungefähr gleichem Niveau, keine Seite ist in irgendeiner Form im Vorteil. Die menschliche Besatzung steht nun vor der Entscheidung: Soll sie kämpfen, auch wenn das vielleicht mit der gegenseitigen Vernichtung endet? Oder soll sie fliehen und dabei riskieren, dass das andere Schiff sie bis nach Hause verfolgt und damit von der Lage des Sonnensystems erfährt? Die Außerirdischen beschäftigen derweil ganz ähnliche Gedanken. Es ist einer Situation beim Schachspiel ähnlich – ein Matt in zwei Zügen droht.

Die Besatzung der »Tellur« kann sich ein gewalttätiges Verhalten der Fremden nicht vorstellen. Die Forscher sind überzeugt, dass eine raumfahrende Zivilisation nur hoch entwickelt sein kann und an Verständigung statt Aggression interessiert ist.

 Die FremdenTreffen im Verbindungsgang zwischen den Raumschiffen

Die beiden Raumschiffe begegnen sich und werden durch eine spezielle Vorrichtung miteinander verbunden. Mittels Lichtzeichen und Gesten gelingt eine erste Verständigung. Eine durchsichtige Schutzwand trennt den Verbindungsgang zwischen den Raumschiffen in zwei Bereiche mit unterschiedlichen Umweltbedingungen. Äußerlich sind die Außerirdischen den Menschen sehr ähnlich, aber ihr Atemluftgemisch ist für sie vollkommen ungeeignet. Ihr Stoffwechsel basiert auf Fluor anstelle von Sauerstoff. Die Zivilisation der Fremden unternimmt schon seit langer Zeit weite Reisen durch das Weltall, immer auf der Suche nach einer Welt, die der ihren gleicht, auf der Suche nach Wesen, die so sind wie sie. Ihre langwierigen und erfolglosen Bemühungen ließen sie immer mutloser und verzweifelter werden, denn bis jetzt begegneten sie nur Zivilisationen, die Sauerstoff atmen. Über diese Begebenheiten erteilen sie der Besatzung der »Tellur« bereitwillig Auskunft.

Obwohl noch so viele Informationen ausgetauscht werden könnten, neigt sich die Begegnung im All recht schnell ihrem Ende zu. Die Fremden empfangen den Hilferuf eines Schwesterschiffs und müssen aufbrechen.

Bevor die beiden Raumschiffe voneinander getrennt werden, hat die Biologin der »Tellur« eine Vision. In einem kühnen Plan schlägt sie den Außerirdischen vor, durch eine künstliche Mutation ihren Stoffwechsel von Fluor auf Sauerstoff umzustellen. Dieses Vorhaben würde bis zu seiner Realisierung zwar mehrere Jahrstausende dauern, danach müssten sich die Fremden jedoch nicht mehr als Sonderfall und Ausgestoßene fühlen. Die Biologin träumt von einer zukünftigen Gemeinschaft der Völker der Galaxis, zu denen dann auch die Bewohner des Fluorplaneten gehören könnten…

Hintergrund

Die Erzählung »Das Herz der Schlange« erschien 1959 auf Russisch und 1961 in einer vollständigen Ausgabe auf Deutsch. Eine weitere deutsche Ausgabe wurde unter dem Titel »Begegnung im All« 1969 leicht gekürzt und neu übersetzt veröffentlicht.

Dieses zweite Science-Fiction-Werk Jefremows wird als Bindeglied zwischen den Romanen »Das Mädchen aus dem All« und »Die Stunde des Stiers« angesehen. Der Autor selbst betrachtet die Erzählung als Fortsetzung seines ersten Science-Fiction-Romans. ([3], S. 7)

Trotzdem ist eine Einordnung der Handlung in den Zukunftszyklus »Der Große Ring« aus folgenden Gründen schwierig:

1. Am Anfang der Erzählung wird die Erforschung der Umgebung des Sonnensystems und der nächsten Sterne beschrieben. Außerdem findet der gelegentliche Empfang von Radiosignale anderer Zivilisationen Erwähnung. Die Entschlüsselung dieser Signale offenbarte der Menschheit eine gewisse Vorstellung vom Leben auf fernen Welten. Wenn die Handlung zeitlich nach dem ersten Science-Fiction-Roman des Autors einsetzt, warum fehlt dann der Bezug zum regelmäßigen Kontakt der Erde mit den Angehörigen des »Großen Rings«?

2. Der Autor beschäftigt sich in der Erzählung mit der damals weit verbreiteten Vorstellung, dass alle sich im Kosmos entwickelnden intelligenten Lebensformen zwingend eine menschenähnliche Gestalt haben müssten. Durch die Verbindung mit dem »Großen Ring« in »Das Mädchen aus dem All« ist die Menschheit aber eigentlich darüber informiert, dass andere intelligente Lebensformen recht selten eine menschliche Gestalt haben.

 cover © H.-H. Schlicker

Jefremow stellt dem Leser eine Lebensform vor, deren Biochemie sich radikal von der irdischer Organismen unterscheidet. Diese Wesen atmen statt Sauerstoff das Gas Fluor. Fluor geht in einem Temperaturbereich zwischen -80°C und +20°C eine stabile Verbindung mit Wasserstoff ein. Dieser Fluorwasserstoff sollte in einer solchen hypothetischen Welt die Funktion des Wassers übernehmen. Es ist aber unmöglich, eine den irdischen Verhältnissen entsprechende Chemie aufzubauen. Die Idee, in organischen Verbindungen und im Stoffwechsel von Lebewesen Fluor die Rolle des Sauerstoffs übernehmen zu lassen, ist deshalb nur eine Gedankenspielerei.

Persönliche Wertung

Die Erzählung »Das Herz der Schlange« zieht den Leser durch ihre genaue Beschreibung des ersten Kontakts zwischen Abgesandten der Erde und Vertretern einer fremden Zivilisation in ihren Bann. Es ist interessant zu lesen, wie diese Begegnung zustande kommt, wie die ersten Verständigungsversuche ablaufen und welche Empfindungen und Gedanken die irdischen Raumfahrer in dieser Situation bewegen. Die Vorstellung, dass eine solche Begegnung im All friedlich und für beide Seiten bereichernd verläuft, empfinde ich als sehr ansprechend und inspirierend.

Mir gefällt die Absicht des Autors sehr, den Kontakt zwischen raumfahrenden Zivilisationen so darzustellen, dass er auf Verständigung beruht und nicht auf Konfrontation oder Eroberung ausgerichtet ist.

Weniger gut gelungen finde ich den Stil, den der Autor bei der Schilderung der Begegnung mit den Fremden verwendet. So beschreibt er zwar, dass die Fremden ihren Planeten an ihre Bedürfnisse angepasst und verändert haben, lässt den Leser allerdings über das Wie im Unklaren. Die pathetische und sehr getragene Beschreibung in einigen Passagen des Textes befremdet beim Lesen.

Die Vision der Biologin am Ende der Erzählung ist kühn aber auch sehr unrealistisch. Eine genetische Veränderung der Körperchemie der Fremden würde ebenfalls eine radikale Veränderung ihres Heimatplaneten notwendig machen. Sie würden ansonsten in dieser Welt nicht weiterleben können. Ein solcher Umbau der Körperchemie erscheint daher nicht sinnvoll. Was soll hierdurch erreicht werden? Der direkte Kontakt zwischen Vertretern verschiedener Zivilisationen ohne Schutzmaßnahmen ist sicherlich nicht empfehlenswert. Der Autor warnte schon in seinem ersten Science-Fiction-Roman vor den Gefahren fremdartiger Krankheitskeime. In einer späteren, leicht gekürzten Veröffentlichung der Erzählung wird auf diese Passage dann verzichtet.

Bei aller Überholtheit einiger Ansichten und einzelner Unzulänglichkeiten in Stil und Handlung ist dieses Erzählung trotzdem unterhaltsam und lesenswert.

Zum Buch

Anderer Titel: Begegnung im All
Russischer Originaltitel: Сердце Змеи (Herz der Schlange)
Autor: Iwan Jefremow
Deutsch: Hilde Angarowa/Herbert Berthold
Verlag: Verlag für fremdsprachige Literatur Moskau 1961
Seitenzahl: 119
Ausgabe: Paperback

Quellen

[1] Das Herz der Schlange – Verlag für fremdsprachige Literatur Moskau 1961

[2] Begegnung im All (Meridian 18) – Deutscher Militärverlag Berlin 1969

[3] Die Stunde des Stiers – Edition TES im Ulenspiegel-Verlag Waltershausen und Erfurt, herausgegeben von Gerd-Michael Rose

[4] Das Herz der Schlange – Das neue Abenteuer 174/175 – Verlag Neues Leben Berlin 1960

[5] Das Herz der Schlange – Teil I und II – Das neue Abenteuer 174 und 175, Verlag das Neue Leben 1960

Das Bild Cor Serpentis wurde mit der freien Software Stellarium erstellt.

Das Bild Begegnung beim Herz der Schlange: © innovari – Fotolia.com und © innovari – Fotolia.com (bearbeitet)

Der Hintergrund des Bildes wurde mit der freien Software Celestia erstellt.

Die Bilder »Die Fremden« und »Treffen im Verbindungsgang zwischen den Raumschiffen«: Nachzeichnungen nach Motiven von Hans-Hermann Schlicker (Das Herz der Schlange – Das neue Abenteuer 175, Verlag Das Neue Leben 1960, S. 11 und S. 17)